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Dekounfall auf 10m?
"Unmöglich" werden viele jetzt sagen: "So was gibt es
nicht!" Irrtum! Am 13.03.99 hatte ich nach zwei Tauchgängen
im Pullinger Weiher Bends in der rechten Schulter. Hier ein
kurzer Erlebnisbericht. Ich möchte damit nicht abschrecken oder
das interessante Hobby vermiesen. Jeder Taucher soll sich aber
bewußt sein, daß auch bei Nullzeittauchgängen in geringen
Tiefen ein Tauchunfall möglich ist. Wichtig ist es dann, die
Symptome auch als Dekounfall zu deuten und sich in
Tauchärztliche Behandlung zu begeben.
Samstag 13.03.99
1. Tauchgang: max. Tiefe 11m, 28 min um 14.Uhr.
Oberflächenpause 1h 15min.
2. Tauchgang: max. Tiefe 10m, 25 min.
Die Wassertemperatur ist entsprechend der Jahreszeit noch sehr
kalt. Lufttemperatur 18 Grad C. Durch den Trockentauchanzug
erfolgte bereits vor dem Tauchgang Flüssigkeitsverlust durch
starkes Schwitzen. Trotz der Scubapro
Halbtrocken-Dreifinger-Handschuhe waren die Hände rot vor
Kälte. Zwischen und nach dem Tauchgängen habe ich ca. 1l Eistee
getrunken. Um ca. 18 Uhr kam ich in meiner Wohnung an und legte
mich gleich ins Bett. Da ich sehr müde war habe ich bis ca. 22
Uhr geschlafen. Anschließend schaute ich Fernsehen und bekam ab
Mitternacht Schmerzen im rechten Schultergelenk.
Sonntag 14.03.99
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Um 1.30 Uhr stärkere Schmerzen in der rechten Schulter, ins Bett
gelegt um zu schlafen. Die Schmerzen werden immer stärker, ich glaubte
mir die Schulter ausgekugelt zu haben und wollte am Vormittag
beim Hausarzt anrufen.
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3 Uhr: Die Schmerzen werden stärker, schlafen ist unmöglich.
Ich stehe wieder auf und schaue fernsehen.
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Um 6 Uhr werden die Schmerzen unerträglich, der Arm kann nicht
mehr gedreht oder gehoben werden.
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Um 6.30 Uhr habe ich meine Freundin geweckt, damit sie mich ins
Krankenhaus fährt.
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Der Notarzt läßt die rechte Schulter röntgen:
weder verrenkt, ausgekugelt oder sonstige Verletzung. Auch eine
Entzündung ist nicht vorhanden. Auf Grund der geringen Tiefe
hält der Notarzt einen Tauchunfall für ausgeschlossen. Der Arm
wird durch einen Verband ruhig gestellt und mir werden
Schmerztabletten mitgegeben. Am nächsten Tag solle ich einen
Orthopäden aufsuchen.
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9.oo Uhr: Bei DAN angerufen, da ja vielleicht
doch ein Zusammenhang mit den Tauchgängen besteht. Dr. Lotte aus
Kiel (DAN) empfiehlt die Schulter von einem Taucharzt untersuchen
zu lassen. Seiner Meinung nach hat ein Tauchunfall überhaupt
nichts mit der Tiefe zu tun. Ein Dekompressionsunfall sei bei
jeder Tiefe möglich, auch bei 10m! Dr. Lotte verspricht mir,
innerhalb von 30 min die Telefonnummer von dem nächsten
Taucharzt in näherer Umgebung zu besorgen.
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10 min später ruft mich Dr. Klink von der Hauptfeuerwache 5 in
München an. Nach der Schilderung des Tauchganges, der Schmerzen
und der Röntgendiagnose kommt er zu dem Schluß: " Ein
Tauchunfall bei dieser Tiefe ist unmöglich." Er wolle mich
am Abend noch mal anrufen um sich nach meinem Zustand zu
erkundigen.
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10 Uhr: Die Schmerzen sind unverändert stark. Daher habe ich bei
Dr. Andreas Müller vom Hyperbaren Sauerstoff-Zentrum in München
angerufen. Dr. Müller teilt mir mit, daß die geringe Tiefe
einen Tauchunfall nicht ausschließt und bittet mich
schnellstmöglich in seine Praxis zu kommen.
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Da mir wegen der Schmerzen Autofahren unmöglich erscheint, habe
ich den nächsten Zug nach München genommen. Der Arm kann kaum
bewegt werden, sogar Schuhe binden ist unmöglich. Auch passive
Bewegung tut sehr weh.
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Um 13.30 Uhr werde ich von Dr. Müller untersucht. Seine
Diagnose: Es handelt sich um einen Dekompressionsunfall.
Nadelstiche im Schulterbereich wurden von mir nicht erkannt.
Sofort beginnt die Druckkammerbehandlung
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Die Druckkammerfahrt dauert insgesamt vier Stunden. Zuerst auf
18m, dann auf 9m. Über eine Maske bekomme ich für Intervalle
von 30 Minuten 100% Sauerstoff zum atmen. Zwischen den O2
Atmungen 5-10 min Pause. Bereits während der Druckkammerfahrt
zeigt sich ein erster Erfolg. Keine Schmerzen mehr im
Ruhezustand, nur noch bei Bewegung des Armes. Die Schulter ist
auch schon etwas beweglicher.
Montag 15.03.99
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Beweglichkeit nimmt zu, Schmerzen bei Bewegung sind über Nacht
geringer geworden.
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Um 10.45 folgt die zweite Druckkammerfahrt: 130 min auf 14 m. 3 x
30 min Sauerstoffatmung.
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Arm kann bereits zur Hälfte gehoben werden, Drehbewegung des
Gelenkes auch möglich. Hand kann jedoch nicht hinter den Rücken
geführt werden.
Dienstag 16.03.99
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8.00 Uhr: Schmerz fast vollständig weg. Arm kann wieder hinter
den Rücken geführt werden. Wenn Arm senkrecht nach oben
gestreckt wird, noch leichte Schmerzen beim herablassen.
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10.45 Uhr: Druckkammerfahrt 130 min, 14m, 3 x 30 min O2 Atmung
über Maske
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Bis einschließlich Freitag erfolgte jeden Tag eine
Druckkammerfahrt mit 3 x 30 min O2 Atmung auf 14m.
Fazit:
Ein Dekompressionsunfall ist auch bei Nullzeittauchgängen
möglich, auch bei geringen Tiefen und sehr unauffälligen
Tauchgängen. Es spielen eine Vielzahl von Faktoren eine Rolle:
die allgemeine körperliche Verfassung und der Trainingszustand,
Wiederholungstauchgänge, die Wassertemperatur,
Flüssigkeitsverlust durch Atmung und Schwitzen, körperliche
Arbeit unter Wasser.......
Bei meinem Tauchunfall dürfte wohl der Flüssigkeitsverlust eine
große Rolle gespielt haben. Insgesamt habe ich über den ganzen
Tag nur etwa 1l Flüssigkeit zu mir genommen. Durch den
Trockentauchanzug und die hohe Lufttemperatur habe ich auf dem
Weg ins Wasser stark geschwitzt. Über die Lunge wird beim atmen
während des Tauchganges ebenfalls viel Flüssigkeit verdunstet.
Natürlich hatte ich auch an ein offenes Foramen Ovale gedacht.
Bei einer Untersuchung durch einen Kardiologen konnte jedoch kein
offenes Foramen Ovale festgestellt werden.
Außerdem handelte es sich um einen Wiederholungstauchgang. Bei
einem Wiederholungstauchgang steigt das Risiko eines
Tauchunfalles um ein Vielfaches, auch wenn in der Nullzeit
getaucht wird.
Aufgrund der geringen Tiefe habe ich die Schmerzen nicht mit den
Tauchgängen in Verbindung gebracht, dies war aber ein Fehler.
Dadurch ist eine unnötige Verzögerung bis zum Beginn der
Druckkammerbehandlung entstanden. Leider hatte auch der
diensthabende Taucherarzt der Hauptfeuerwache in München nicht
die entsprechende Fachkompetenz um den Tauchunfall zu erkennen.
Wenn das letzte Glied in der Kette nicht schwach gewesen wäre,
hätte die Organisation durch DAN sehr gut funktioniert. Zum
Glück habe ich mich nicht auf die Aussage des Dr. Klink
verlassen und wurde letztendlich durch Dr. Müller vom Hyperbaren
Sauerstoffzentrum erfolgreich behandelt. Die deutliche Besserung
der Schmerzen während der ersten Druckkammerfahrt bestätigt die
Diagnose, daß es sich um einen Tauchunfall gehandelt hat.
Wenn nach einem Tauchgang die typischen Beschwerden wie z.B.
Gelenkschmerzen, Hautausschlag, Juckreiz... auftreten, sollte
immer die Möglichkeit eines Tauchunfalles in Betracht gezogen
werden. Auch bei Nullzeittauchgängen. Wichtig ist es dann,
sofort eine Tauchärztliche Untersuchung durchführen zu
lassen. Bis zu Beginn der Behandlung sollte die normobare
Sauersoffatmung erfolgen.
(Anmerkung d.Red.: Alexander ist wieder völlig beschwerdefrei!)
Lesen Sie dazu den Kommentar eines Tauchmediziners: Dekounfall - wie vermeiden?
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