Wir haben einen Taucharzt gebeten, zum Tauchunfallbericht "Dekounfall auf 10m?"
einen Kommentar zu verfassen. Dr. med Torsten Encke gibt uns darin u.a. wichtige Tipps und Hinweise, wie das Risiko eines
Dekounfalls verringert werden kann.
Hallo Matthes,
hier ein paar Ausführungen zu dem von Dir geschickten Fall.
Prinzipiell kann ein Tauchunfall, ganz allgemein gesagt, in jeder Tiefe
auftreten. Im Gegensatz zur weit verbreiteten Meinung entstehen die meisten
Tauchunfälle in geringen (sogar belächelten) Tiefen. Weiterhin sind
Dekounfälle auch möglich, wenn in der Nullzeit getaucht wurde bzw.
Austauchzeiten genau eingehalten werden.
Unabhängig davon gibt es in größeren Tiefen natürlich auch Risiken, die zu
beachten sind. Es sei nur an den bekannten Tiefenrausch durch Stickstoff (ab
Partialdruck von ca.4 bar) oder die schon weniger bekannte Giftigkeit des
Sauerstoffs ab ca. 1,4 bar Partialdruck (etwa 58 m bei Pressluft). Frühere
Empfehlungen gehen noch von 1,6 bar (66 m) Sauerstoffpartialdruck aus.
Nun zum vorliegenden Fall.
Von der Zuordnung her muß man diesen wohl einer Dekokrankheit (DCS) zuordnen,
genauer einer DCS Typ I (Typ I "pain only", Typ II "neurological"), obwohl
offensichtlich auch schon neurologische Strukturen betroffen waren (" ...
Nadelstiche nicht gemerkt ..."). Typisch: Schmerz in/an großen (+ kleinen)
Gelenken, in gelenknaher Muskulatur und Bändern, im Unterhautfettgewebe
(Taucherflöhe) etc.. Latenzzeit 1 - 24, teilweise 48 (!) Stunden nach einem
Tauchgang. Beim Typ II erfolgen im Gegensatz dazu 90% der Ereignisse etwa
innerhalb einer Stunde nach TG-Ende.
Diese schon etwas in die Jahre gekommene Einteilung ist nicht für alle Fälle
befriedigend. Es hat sich inzwischen herausgestellt, daß viele in der
Tauchmedizin üblichen Einteilungen weniger Realitätscharakter zeigten als
angenommen. Häufig ist eine exakte Unterscheidung nicht möglich und
erforderlich, da Symptome und Therapie oftmals ähnlich oder sogar gleich sind.
Man ist deshalb zur Bezeichnung "Dekompressions - Erkrankung" (Decompression
Illness, DCI) übergegangen und charakterisiert diese dann genauer anhand der
jeweiligen Verlaufsform.
Ursache einer DCI ist das Ausperlen von Bläschen (des Inertgases Stickstoff),
weil die Gasspannung des gelösten Stickstoffs im Körper den Umgebungsdruck um
eine sogenannte "erlaubte Überspannung" überschreitet. Diese Bläschen können
"stumm" bleiben (eigentlich entstehen bei jedem Tauchgang Bläschen) oder aber
bei entsprechender Größenzunahme die Symptomatik verursachen. Sie bewirken im
Gewebe u.a. eine Ischämie (Blutleere), Gewebekompression und/oder -zerreißung
sowie Entzündungsreaktionen, letztendlich eben mit der oben angeführten
Symptomatik. Übrigens kann eine ungewöhnliche Müdigkeit ein erstes und frühes
Zeichen einer DCI sein, wenn auch eine gewisse Müdigkeit nach allen Aufenthalten
unter erhöhtem Druck aufzutreten scheint und wohl auch alle Taucher bestätigen
können.
Es gibt außerdem eine Reihe von Umständen, die das Auftreten von
Dekompressionserscheinungen beeinflussen:
- Zunächst offensichtlich die
individuellen Unterschiede zwischen den einzelnen Personen, die bis heute nicht
restlos geklärt sind. Man weiß z.B., daß Übergewicht die Empfindlichkeit für
Dekounfälle erhöht. Fettgewebe gehört zu den weniger gut durchbluteten Geweben
des Körpers, d.h., ein Abtransport des Stickstoffs beim Austauchen ist erschwert
und kann z.B. bei kältebedingter Durchblutungsminderung noch weiter verringert
sein. Dabei nimmt Fettgewebe aber ein Mehrfaches an Stickstoff auf als
"wäßrige" Gewebe.
- Kälteeinwirkung spielt in diesem Zusammenhang noch eine weitere Rolle. Bei
niedrigerer Temperatur lösen sich Gase besser in Flüssigkeit, also z.B. bei
einem "Kältetauchgang". Erfolgt dann eine relativ rasche Aufwärmung, vielleicht
sogar noch unter einer heißen Dusche nach dem Tauchgang, kann das durchaus eine
Symptomatik bewirken.
- Bei Arbeit unter Druck erhöht sich die Gewebedurchblutung mit schnellerer
Sättigung der Gewebe mit Stickstoff. Diese erhöhte Durchblutung führt zwar auch
wieder zu einer schnelleren Entsättigung der Gewebe, doch oftmals ist der
Aufstieg geruhsamer als die Aktionen während der Grundzeit. Auch hier kann es
zur Blasenbildung kommen, weil die mit verminderter Arbeit zurückgehende
Gewebedurchblutung die schnellere Entsättigung verhindert.
- Unter ungünstigen Umständen können sogar Erschütterungen oder Vibrationen nach
einen Tauchgang zur Symptomatik führen. Dauerlauf oder Sport beispielsweise nach
einem Tauchgang sollte mit gebührendem zeitlichen Abstand auf dem Tagesplan
stehen. Aber man braucht auch nur an den schnellen Zodiak denken, der mit den
aufgesammelten Tauchern zur Basis oder zum Safariboot über die kabbelige See
"zurückbrettert". Jeder hat schon mal eine offene Flasche Selters oder Cola
geschüttelt ... .
Soweit zunächst einige Grundlagen der DCI. Im ersten Moment sicher mit
gefährlichem Beigeschmack oder sogar abschreckend. Doch der Taucher oder
Interessent sollte sich vor Augen halten, daß der Tauchsport insgesamt ein sehr
sicherer Sport ist. Schon die Beachtung von einigen Grundregeln senkt das Risiko
entscheidend. Ausgeruht, gesund und fit den Tauchgang antreten. Vor dem Tauchen
in sich "hineinhorchen und -fühlen" - alles o.k.? Bei Abneigung oder Unbehagen,
Angst oder Unwohlsein lieber auf das Tauchen verzichten. War und ist die
Flüssigkeitszufuhr ausreichend? Viele vermeiden das Trinken vor Tauchgängen in
der Annahme, dem dringenden Bedürfnis unter Wasser ausweichen zu können. Sie
beachten dabei nicht, das die volle Blase beim Tauchen über den Mechanismus der
Taucherdiurese entsteht und weniger durch das Trinken, sie berauben sich durch
die fehlende Flüssigkeitsaufnahme des Transportmittels für Stickstoff und
verschlimmern eine doch einmal auftretende DCI!
Im weiteren sollte man sich noch einmal die Tauchgangsplanung durch den Kopf
gehen lassen, ist sie korrekt, Tiefengestaltung berücksichtigt,
Wiederholungstauchgänge berücksichtigt? Computernutzer sollten, ungeachtet des
Preises ihrer Geräte, die Angaben im Display mit einer angemessenen Portion
Skepsis betrachten. Auch der beste Tauchcomputer kann nicht alle Einflüsse
berücksichtigen, aber sie können es besser als Tauchtabellen und Wheels. Wie
sicher und erfahren ist eigentlich mein Buddy? Ist für den eventuellen Notfall
ein Plan erstellt, wo ist der nächste Sauerstoff erreichbar, Handy mit
Telefonnummern in Reichweite? Ist überhaupt eine aktuelle
Tauchtauglichkeitsuntersuchung vorhanden? Das sind u.a. Fragen, die ein
erfahrener Taucher sicher mehr im Unterbewußtsein abarbeitet, so wie ein
Berufskraftfahrer die Gänge seines Fahrzeugs wechselt. Wer das noch nicht
verinnerlicht hat, sollte sich seine Gedanken-Checkliste erarbeiten. Und mit dem
Wissen im Hintergrund, das der "Faktor Mensch" die wesentliche Unfallursache bei
Tauchzwischenfällen ist!
Einige Bemerkungen zur Tauchtauglichkeit:
Es gibt weder für das Tauchen noch für Tauchtauglichkeitsuntersuchungen eine
gesetzliche Regelung. In aller Regel liegt beim Tauchen keine Fremdgefährdung
vor, somit auch kein öffentliches Interesse an entsprechenden Gesetzen. Jeder
kann sich ein Tauchgerät kaufen und in Selbstverantwortung nutzen. Jeder sollte
sich aber vor Augen halten, daß sich der Mensch beim Tauchen in eine Umwelt
begibt, die nicht zum eigentlichen Lebensraum gehört und deshalb besondere
Bedingungen für den Organismus in physischer und psychischer Art vorgibt. Gefahr
entsteht, wenn der Taucher diesen Bedingungen nicht gewachsen ist. Unter der
Wasseroberfläche gibt es kaum Möglichkeiten zur Erholung oder Fehlerkorrektur.
Mit der Tauglichkeitsuntersuchung soll möglichst umfassend beurteilt werden, wie
es um die körperliche Leistungs- und Anpassungsfähigkeit (Ehm 1999) bestellt
ist. Die spezifischen Bedingungen beim Tauchen und das sprunghaft wachsende
Wissen in der Tauch- und Hyperbarmedizin sollte unbedingt Berücksichtigung
finden. Sportler werden durch Sportmediziner betreut, Piloten durch
Flugmediziner - wie steht es um uns Taucher?
Dr.med. Torsten Encke
Jörg Schulze
Tauchmedizinische Sprechstunde am Johanniter-Krankenhaus Genthin
Karower Straße 1 - 3; 39307 Genthin
Tel.: 03933 - 945 284 / 485 / 201
tencke@jksdl.de
jschulze@jksdl.de
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