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Foto: © Berliner Unterwelten e.V.
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Copyright © M. Uhlmann / 200bar.de
Hunderte von Menschen gehen täglich an einer grünen Tür im U-Bahnhof Gesundbrunnen vorbei, ohne zu ahnen, dass sich dahinter
ausgedehnte und geschichtsträchtige Räume verbergen. Denn die U- und S-Bahnen sind nur ein Teil der unterirdischen Bauten, die
in Berlin entstanden. Es gibt aber noch viel mehr, was in den märkischen Sand eingebaut wurde: Unterirdische Gräber, Rohrpostanlagen, versteckte
Luftschutzbunker, Abwasserkanäle - sogar eine Flugzeugfabrik wurde unter der Oberfläche angelegt. Viele dieser unterirdischen
Bauwerke sind heute noch erhalten und einige Bereiche sind nur Tauchern zugänglich...
Berliner Stadtgeschichte(n) von unten
Wussten sie, dass sich im Innenstadtbereich bis zu 40% der Berliner Bauwerke unterhalb der Oberfläche befinden? Kennen sie die
Geschichten von Rohrpost und Brauereien, Bunkern oder aber auch die Geheimnisse unter den Trümmerbergen? Unterirdische Bauten
bilden ebenso wie die oberirdische Bebauung ein komplexes System. Trotz der schwierigen Berliner Bodenverhältnisse - der
Grundwasserspiegel liegt im Zentrum teilweise nur drei bis vier Meter tief - wird der städtische Untergrund seit der industriellen
Revolution Mitte des 19. Jahrhunderts immer intensiver genutzt. Politische Einschnitte haben seit der Reichsgründung 1871 ihre
Spuren im Boden hinterlassen. Dies lässt sich unter anderem am Bau der Kanalisation, an nie vollendeten U-Bahnplanungen oder an
den Großbauvorhaben und Bunkeranlagen aus der Zeit des Nationalsozialismus nachvollziehen. Die Zeit des kalten Krieges kann
man - unterirdisch betrachtet - als die Ära der Spionage- und Fluchttunnel, Geisterbahnhöfe und Senatsreserven bezeichnen. Auch die
"modernen" Zivilschutzeinrichtungen dieser Epoche spiegeln ihren Zeitabschnitt auf eindringliche Weise wider.
1997 wurde der Verein Berliner Unterwelten e.V. gegründet. Seitdem wird im Rahmen dieser Organisation versucht, die verborgene
Welt des Untergrundes zu erforschen und diese zu dokumentieren. Der Verein hat bereits zahlreiche unterirdische Bauten entdeckt,
in einigen werden auch regelmäßig Führungen angeboten. Aber so manches Geheimnis wartet noch darauf, gelüftet zu werden. Die
Arbeitsgruppe Tauchen erschließt hierbei Untergründe, die normalerweise nicht zugänglich sind. Eine beispielhafte Aktion war
der Tauchgang im zweiten Untergeschoss des Kunsthauses "Tacheles" im Frühjahr 2000.
Der Tauchgang im Tiefgeschoss des Tacheles
Christel Focken, Sprecherin der Arbeitsgruppe Tauchen des Vereins Berliner Unterwelten e.V., hatte die Möglichkeit zu
einem Tauchgang im Untergrund und berichtet uns davon:
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Fotos: © Christel Focken / AG Tauchen beim Berliner Unterwelten e.V.
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"Im März 2000 gab es Gerüchte, dass ein unter Wasser stehendes Tiefgeschoss des "Tacheles" für dringend notwendige Sanierungsarbeiten mit
Beton verfüllt werden sollte. Die Gerüchte bestätigten sich nach einiger Recherche und damit entstand unser Anspruch die Räume vor
der Verfüllung zu betauchen. Zu Beginn einer solchen "Begehung" sind kompetente Ansprechpartner zu ermitteln, mit denen dann die
Erlaubnis und Haftungsfragen verhandelt werden. Da solche Anliegen an eine Bauprojektorengruppe für diese sehr ungewöhnlich sind, ist
der Überzeugungs-Aufwand um so größer.
Im April 2000 war es dann nach wochenlanger Vorarbeit soweit. Der Tauchgang in das zweite Tiefgeschoss konnte beginnen. Die angestaute
Spannung erreichte ihren Höhepunkt. Auch wenn die Ausrüstung das 25. Mal geprüft wurde, hatte man das Gefühl etwas übersehen zu haben.
Kisten mit Tauchausrüstung wurden am staunenden Publikum in der Cafeteria vorbei geschleppt, um es anschließend eine steile
Kellertreppe hinunter zu wuchten. Weiter durch Kellerräume, Werkstätten und vorbei an alten Rohrpostleitungen bis in einen großen
Kellerraum mit einigen 1,5m großen Öffnungen in das begehrte zweite Tiefgeschoss. In eine zuvor abgesperrte Öffnung wurde eine Leiter
für den Abstieg gestellt. Vorsichtig kletterte der Erste in das Wasser, um erleichtert festzustellen, dass die Etage nicht bis zur
Decke gefüllt war. Die restliche Ausrüstung wie Lampen und Fotoapparate wurden vorsichtig nach unten gereicht. Ein Kindergummiboot
diente als mobile schwimmende Basis.
Das eingelaufene Grundwasser war überraschend kalt und klar. Nach und nach erschloss sich im Schweinwerferkegel der Tauchlampen der
voll gerümpelte Untergrund. Ein Chaos offenbarte sich im tastenden Licht. Kisten, Schränke, Stühle, Bretter und vieles nicht mehr
definierbare lag durcheinander auf dem Grund. Papierstapel, die nur noch in ihrer Kontur existierten und sich beim Greifen in
Schlieren auflösten. Vermutlich waren es einmal Koffer, die bei der ersten Berührung zerfielen.
Reste der Elektroinstallation, die schon vor langer Zeit abgerissen wurden ... und auf einer Holzkiste ein uralter Telefonhörer wie
man ihn nur aus sehr alten Filmen kannte. Ab und zu musste man um einen alten "Raumteiler" herum geschwommen und unter Unrat
durchgetaucht werden. Alte Holzverschläge ließen die frühere Raumstruktur erahnen.
Vorsichtig tauchte man weiter, bedacht nirgendwo anzustoßen, um nicht unter einer einstürzenden Holzwand eingeklemmt zu werden. Ein
altes Emaile-Schild mit der Werbung eines Schusters und etwas was mal eine Rechenmaschine gewesen sein könnte erschienen im
vorbeistreifenden Lichtkegel. In einer Ecke auf dem Grund lag eine Katze in einem fortgeschrittenen Verfallstadium, ihr wurden
vermutlich die Öffnungen zum Verhängnis. Jedes unachtsame Wedeln mit der Flosse nimmt sofort die Sicht durch aufgewühltes Sediment.
Nach ungefähr einer Stunde ist der Keller ergründet und man konnte sich eine Etage höher aufwärmen. Geborgen wurden der alte
Telefonhörer, das Emailleschild und die Rechentrommel. Als Resümee haben sich alle über den ungewöhnlichen Tauchgang gefreut.
Nun haben Christel, Benno und Ralf einen schicken Stempel vom Tacheles in unseren Logbüchern."
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Führungen durch die Berliner Unterwelt
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Foto: © Christel Focken
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Um diese Frage gleich vorwegzunehmen: "Aus Sicherheitsgründen können wir keine unausgebildeten Nichtmitglieder auf solche
Tauch-Exkursionen mitnehmen", erklärt uns Christel von der AG Tauchen. Nur selten ist das Wasser so klar wie im oben beschriebenen
Beispiel. Mitunter ist die Sicht gleich Null und man steuert im Blindflug durch unbekannte Areale. Ein gutes Bild von den möglichen
Bedingungen kann man sich anhand dieses Fotos der teilweise gefluteten Etage eines Heizwerkes ca. 20m unter der Oberfläche
machen. Man weiß nie, was sich unter der braunen Brühe verbirgt. Räume und Gänge reichen oft grad für eine Person
aus, ein Tauchpartner kann im Notfall kaum helfen. Es ragen Muniereisen und andere Hindernisse aus den Wänden, mitunter unvermeidbar
aufgewirbelter Schlamm erschwert die Orientierung auf dem Rückweg. Trümmer und Schrott behindern zusätzlich das Handling mit Leinen
und Reels. "Das Tauchen in solchen Anlagen ist nicht das, was man mal eben so ganz nebenbei mitmachen kann."
Trockenen Fußes können die Unterwelten jedoch von jedermann besucht werden. Der Verein Berliner Unterwelten e.V. organisiert
regelmäßige Führungen in den unterirdischen Bauwerken, sowie durch das im Aufbau befindliche "Berliner Unterweltenmuseum". Weitere
Infos finden sie auf der Homepage und im Infoflyer des Vereins.
Weitere Infos und Führungen:
Berliner Unterwelten e.V.
Brunnenstraße 108a
(im U-Bhf. Gesundbrunnen)
13355 Berlin
Infotelefon: (030) 49 91 05 18
Büro: (030) 49 91 05 17
Telefax: (030) 49 91 05 19
www.berliner-unterwelten.de
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Infoflyer des Vereins Berliner Unterwelten e.V. (PDF)
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Wir danken dem Verein Berliner Unterwelten e.V., insbesondere Christel Focken (Sprecherin der AG Tauchen), für die freundliche Genehmigung und die
Unterstützung bei diesem Beitrag. Weitere tauchspezifische Fragen beantwortet Christel gern per eMail.
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