So wichtig dieses Element für unser Leben auch ist - Sauerstoff hat leider auch negative Eigenschaften. Eine falsche
Anwendung z.B. in der Medizin oder im Tauchsport kann sogar sehr ernste Folgen haben. In Abhängigkeit vom Partialdruck
und der Einwirkdauer gibt es Vergiftungserscheinungen an Körpergeweben und Organen. Dabei können vor allem das zentrale
Nervensystem (ZNS) und die Lunge geschädigt werden. Da Sauerstoff auch im Tauchsport eine große Rolle spielt,
informieren wir in diesem Beitrag über die Ursachen der Sauerstoffvergiftung, geben wichtige
Praxistipps zur Vermeidung und erläutern, wie einem Sportfreund im Notfall geholfen werden kann.
Sauerstoffvergiftung - Ursachen, Erste Hilfe und Vermeidung
1. Kurzer Ausflug in die Biochemie
Sauerstoff, die Abkürzung "O" steht für Oxygenium, tritt meist als paariges Atom O2 auf. In der
Luft hat dieses farb-, geruch-, und geschmacklose Gas einen Anteil von ca. 21%. Auf Meeresspiegelhöhe bei einem
Luftdruck von 1 bar ergibt sich also ein Sauerstoff-Teildruck (Partialdruck) von 0,21 bar.
Beim Gasaustausch in den Lungenbläschen wird der Sauerstoff aus der Luft chemisch an den roten Blutfarbstoff der roten
Blutkörperchen gebunden und dann über das Herz-Kreislaufsystem zu den Körperorganen transportiert. Dort wird er
von speziellen Zellorganellen gebraucht, welche Fette und Kohlenhydrate zu Kohlendioxid und Wasser verbrennen.
Dabei wird unter Verbrauch von Sauerstoff Energie in Form von Phosphaten gewonnen, welche im ganzen Körper
eine wichtige Rolle spielen.
Neben der eben beschriebenen Transportform durch eine chemische Bindung des Sauerstoffs an den roten Blutfarbstoff
(Hämoglobin) gibt es noch eine weitere: Bei einem Sauerstoffüberangebot, z.B. im Überdruck, kommt es zusätzlich zur
vermehrten physikalischen Lösung des O2 im Blut. Unter normobaren Bedingungen (Normaldruck: Partialdruck
PO2 = 0,21 bar) sind nur ca. 0,03% des Sauerstoffs so im Blut gelöst. Mit zunehmendem Sauerstoff-Partialdruck
steigt dieser Anteil aber beträchtlich an. Dies macht man sich übrigens bei der Behandlung eines schweren Tauchunfalls
in der Druckkammer zunutze: Denn neben dem Effekt der Verkleinerung der Gasblasen tritt zusätzlich der Effekt der Enfernung
der Gasblasen durch ein erhöhtes O2-Partialdruckgefälle zwischen den Körpergeweben und der Druckkammerluft ein.
2. Ursachen und Symptome einer Sauerstoffvergiftung
Insofern ist Sauerstoff also sowohl unter normobaren (Normaldruck), als auch wohldosiert und gezielt eingesetzt unter
hyperbaren Bedingungen ein Lebenselixier. Leider hat Sauerstoff jedoch auch seine Tücken: Bei hohem Partialdruck oder
langer Einwirkdauer gibt es Vergiftungserscheinungen an Körpergeweben und Organen. Von dieser toxischen Wirkung des
Sauerstoff können vor allem das zentrale Nervensystem (ZNS) und die Lunge geschädigt werden.
2.1. O2-Vergiftung am zentralen Nervensystem
Von allergrößter Bedeutung für uns Taucher sind die Auswirkungen des Sauerstoffs auf das zentrale Nervensystem (ZNS).
Bei einem hohen Sauerstoffpartialdruck ist auch viel Sauerstoff an den roten Blutfarbstoff Hämoglobin gebunden. Das
Hämoglobin hat jedoch noch eine weitere Aufgabe: Es soll auch das Abfallprodunkt Kohlendioxid (CO2) aus den Zellen zum
Abatmen in die Lunge transportieren. Bei zu viel O2 ist jedoch die Transport-Kapazität des Farbstoffes für
CO2 vermindert. Dies führt zu einem ansteigenden CO2-Spiegel im Blut, was wiederum ein Herabsetzen
der Krampfschwelle zur Folge hat.
Bervor schwer wiegende Symptome auftreten und ein Tauchgang wegen eines Krampfanfalls im Ertrinken endet, gibt es meist
Warnzeichen: Diese sind Angst, Schweißausbruch, Lippenzittern, evtl. Blässe, später dann Übelkeit, Schwindel,
"Röhrensehen", akustische Halluzinationen, Verstärkung des Lippenzitterns, Euphorie und Schläfrigkeit.
Die eigentlichen Symptome bzw. Spätzeichen sind: starker Schwindel und Erbrechen, Schmerzen und Mißempfindungen
und letztlich der generalisierte Krampfanfall mit einhergehender Bewußtlosigkeit und dem daraus resultierenden
Tod durch Ertrinken. Aber Achtung: Unglücklicherweise können die Symptome gelegentlich auch ganz akut und ohne
Warnzeichen eintreten.
Warum diese Erscheinungen am zentralen Nervensystem auftreten, ist bisher nicht ganz geklärt. O2-Radikale
spielen wohl eine Rolle. Diskutiert werden Veränderungen durch Oxidationen an der Nervenzellmembran oder auch eine
Synthesehemmung von Übertragungsstoffen des ZNS. Nicht geklärt ist die schnelle Rückbildung der Symptome. Ebensowenig
ist geklärt, warum die O2-Verträglichkeit bei Atmung im Wasser deutlich geringer ist, als in einer trockenen
Druckkammer. Die Toleranzgrenze, ab der Sauerstoff sicher ZNS-giftig ist, liegt im Wasser bei 2 bar und im Trockenen
bei 3 bar. Aber Achtung: Durch z.B. körperliche Arbeit, Kälteeinwirkung und individuelle Schwankungen kann diese Angabe
auch deutlich nach oben und unten variieren! Aufgrund der besonderen Einflussfaktoren im Tauchsport ist 1,6 bar O2-Partialdruck
hier der absolute Grenzwert. Da das Risiko einer Sauerstoffvergiftung aber bereits bei 1,4 bar PO2
beträchtlich ansteigt, gilt heutzutage eine Begrenzung des PO2 für Sporttaucher auf 1,4 bar als allgemein anerkannt.
2.2. O2-Vergiftung an der Lunge
Die toxischen Wirkungen von Sauerstoff auf die Lunge sind für Taucher kaum von Bedeutung, da hier die Einwirkungsdauer
sehr lange sein muss. Bei der Behandlung in der Druckkammer jedoch können sich schon funktionelle Veränderungen ergeben.
Eine Schädigung der Lungenbläschen tritt bereits ab einem PO2 von 0,5 bar (manche Quellen geben sogar
0,3 bis 0,35 bar an) über wenige Stunden Einwirkdauer ein. Generell gilt: Je höher der Partialdruck, desto eher tritt
die Schädigung ein und je länger die Einwirkdauer, desto geringere Partialdrücke führen bereits zur Schädigung.
Die Schädigung äußert sich zunächst in Veränderungen an der Membran der Lungenbläschen mit erhöhter
Durchtrittsmöglichkeit für Flüssigkeit und daraus resultierendem Lungenödem und einer Abnahme der Lungenelastizität.
Diese Phase ist noch reversibel. Bei längerer Einwirkzeit kommt es zum irreversiblen Umbau der Membran und somit zur
chronischen Lungenerkrankung.
Nebenbemerkung: Da das Problem der Lungenschädigung häufig auf der Intensivstation auftritt, gibt es für
langzeitbeatmete Patienten andere Möglichkeiten, um die optimale O2-Versorgung der Organe zu gewährleisten.
Z.B. wird das Zeitverhältnis der Ein- und Ausatmungsphase zugunsten der Einatmung verändert oder man erhöht den
Atemwegsdruck am Ende der Ausatmung mit dem Ziel, die krankhaft flüssigkeitgefüllten Lungenbläschen zu blähen und
für die Beteiligung am Gasaustausch wiederzugewinnen. Dabei gilt immer: soviel O2 wie nötig,
sowenig O2 wie möglich.
3. Erste Hilfe und Therapie bei Sauerstoffvergiftung im Tauchsport
Sowie sich frühe Warnzeichen beim Taucher einstellen (siehe Abs. 2.1.), ist der Tauchgang unverzüglich zu beenden. Zur Vermeidung zusätzlicher
Probleme sind eventuell notwendige Dekompressionsstops einzuhalten. An der Wasseroberfläche verschwinden die Anzeichen
der Sauerstoffvergiftung in der Regel innerhalb von Sekunden bis Minuten.
Wenn es in der Tiefe zu einem Krampfanfall kommt, ist der Tauchpartner gefordert: Er muss trotz oftmals heftiger
Krampfbewegungen versuchen, das Mundstück im Mund des betroffenen Tauchers zu halten. Dies schützt vor Verletzung
wie Zungenbiss und vor Eindringen von Wasser in die Lunge. Im weiteren Verlauf ist möglichst kontrolliert aufzutauchen
und an der Oberfläche sind die üblichen Erste-Hilfe-Maßnahmen durchzuführen. Da eine stationäre Behandlung und neurologische
Untersuchungen erforderlich sind, ist in jedem Falle professionelle medizinische Hilfe anzufordern.
4. Tipps zur Vermeidung einer Sauerstoffvergiftung im Tauchsport
Eine ganz allgemeine Maßnahme ist die Vermeidung von Medikamenten und Substanzen, welche eine Dämpfung des
Atemzentrums im Gehirn bewirken und somit indirekt die Empfindlichkeit gegenüber dem Sauerstoff erhöhen. Dazu gehören
z.B. Schlafmittel und Alkohol. Beim Tauchen selbst dürfen die anerkannten Toleranzgrenzen für den
Sauerstoff-Partialdruck nicht überschritten werden. Wer etwas Abstand zu diesen Grenzwerten lässt, erhöht auch seine
Sicherheit. Eine absolute Sicherheit gibt es jedoch nicht. Wie auch bei der Dekompressionskrankheit kann man in der
Praxis lediglich versuchen, das Risiko so gering wie möglich zu halten.
Bei einem Tauchgang mit normaler Pressluft (21% O2) braucht man sich um die toxische Wirkung des in der
Atemluft enthaltenen Sauerstoffs normalerweise keine Gedangen zu machen. Hier kommen die Symptome der narkotischen
Wirkung des Stickstoffs (Tiefenrausch; ab ca. 30m Tiefe) lange vor den Symptomen der O2-Vergiftung
(ab ca. 55m/65m (1,4bar/1,6bar PO2 - siehe 2.1.)).
Werden jedoch Mischgase, wie z.B. Nitrox oder Trimix bei einem Tauchgang eingesetzt, ist die Wahl des richtigen
Atemgases für die jeweils angestrebte Tauchtiefe von größter Bedeutung, damit die empfohlenen Grenzwerte für den
Sauerstoff-Partialdruck PO2 nie überschritten werden. Achtung: Tieftauchen und das Tauchen mit Mischgasen
erfordert eine spezielle Ausbildung, geeignete Ausrüstung und regelmäßiges Training!
5. Unerlässlich: Sauerstoff als 1. Hilfe bei Tauchunfällen
In diesem Artikel, der sich überwiegend mit den möglichen negativen Auswirkungen von Sauerstoff befaßt,
sollte jedoch eines nicht unerwähnt bleiben: Bei Tauchunfällen ist Sauerstoff in höchstmöglicher Konzentration
eine unerlässliche Sofortmaßnahme! Die normobare Sauerstoffatmung von möglichst 100% O2 gilt
sogar als einer der wichtigsten Behandlungspunkte! Sauerstoff hilft dem verunfallten Taucher auf verschiedene
Weise und ist sogar in der Lage, schwere Symptome wie Lähmungserscheinungen und andere neurologische Ausfälle nach
Dekompressionsunfällen und Beinahe-Ertrinken zu lindern.
Einem Tauchunfall-Opfer ist also sofort und bis zum Eintreffen des Rettungspersonals möglichst 100%iger Sauerstoff
zuzuführen. Falls notwendig, auch über mehrere Stunden. Aus diesem Grunde wäre es sehr zu begrüßen, wenn jeder
Taucher den Umgang mit der O2-Beatmungstechnik erlernen würde. Dies ist z.B. im Spezialkurs
"DAN Oxygen First Aid Provoder" (Divers Alert Network) möglich, welche regelmäßig u.a. beim Tauchsportservice
Potsdam angeboten wird. Über Kurse in Ihrer Nähe informieren Sie sich bitte auf der offiziellen DAN-Europe Homepage.
6. Zusammenfassung
Eine Sauerstoffvergiftung ist entweder unter Überdruck oder bei erhöhtem O2-Partialdruck möglich. Die
Zielorgane der Vergiftung sind das ZNS (akut), die Lunge oder auch andere Organe (chronisch). Beispiel "Auge":
Bei Frühgeborenen besteht die Gefahr der Erblindung bei zuviel O2 im Inkubator (sog. "retrolentale
Fibroplasie").
Für uns Taucher sind lediglich die Wirkungen am zentralen Nervensystem (ZNS) von Bedeutung, die unter Umständen auch
ohne Frühzeichen wie Lippenzittern oder Halluzinationen, sofort einen generalisierten Krampfanfall herbeiführen.
Ursachen der Vergiftung sind ein falsches Gasgemisch, zu starke Kälte oder Wärme, individuelle Befindlichkeit oder die
Einnahme von Medikamenten mit Einfluss auf das Atemzentrum des Gehirns. Bei jeglichen Anzeichen einer O2-Vergiftung
ist der Tauchgang abzubrechen, bei einem Krampfanfall sind nach Rettung an die Wasseroberfläche die
Erste-Hilfe-Maßnahmen einzuleiten und der Rettungsdienst zu rufen.
Auch beim Tauchen mit normaler Druckluft ist eine Sauerstoffvergiftung möglich. Dies jedoch erst in Tiefen jenseits der für
Sporttaucher empfohlenen Grenzen, so dass man in der Praxis hier eher mit einem Tiefenrausch (Stickstoffnarkose) zu
rechnen hat. Beim Tauchen mit Nitrox (Atemgas mit erhöhtem Sauerstoffanteil, mehr Infos hier klicken)
o.ä., ist jedoch unbedingt auf die maximale Einsatztiefe des jeweiligen Gasgemisches zu achten, da hierbei sehr wohl
Zeichen der O2-Vergiftung auftreten können. Es bedarf keiner weiteren Erklärung, dass ein unkontrollierbarer
Krampfanfall wegen zu hohen Sauerstoffpartialdrucks während eines Tauchgangs sehr ernste Folgen haben wird. Der Umgang
mit solchen Gasgemischen und Tauchgeräten kann nur in speziellen Tauchkursen von erfahrenen Tauchlehrern erlernt werden.
Weitere Fragen beantworten wir jederzeit gern im Forum dieser Homepage!
Dipl. Med. Ulrike Silbermann
Anästhesie / Tauchmedizin
DAN-Oxygen Instructor
Text: Copyright © by U. Silbermann, M. Uhlmann (200bar.de)
Literatur:
Almelimg, Böhm, Welslau: Handbuch Tauch- und Hyperbarmedizin, ecomed-Verlag
Bundesärztekammer: Reanimation - Empfehlungen für die Wiederbelebung, Deutscher Ärzte-Verlag 3. Auflage 2004
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