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Einleitung und Ursachen
Es soll ja ein paar Taucher geben, die es gerade in der kalten Jahreszeit unters Wasser und
sogar unters Eis zieht. Dafür gibt es sehr verschiedene Erklärungen wie z.B. das Suchen nach
Ruhe in der Natur, die Verbundenheit mit den Witterungserscheinungen (Schnee, Kälte, Wind),
oder auch ganz einfach das Abenteuer. Ich empfinde beim Tauchen im Winter immer ein Höchstmaß
an Freiheit und Verbindung mit den Naturerscheinungen. Allerdings empfinde ich irgendwann
auch das Gefühl von Kälte. Solange sich die Kälte nach dem Tauchen oder kurz vor Ende des
Tauchgangs einstellt und sich das warme Getränk in Reichweite befindet, ist ja alles in
Ordnung. Nur sollten einem nicht bereits vorm Tauchen schon die Haare wegen der Gänsehaut zu
Berge stehen.
Mir geht es in meinem Artikel um die Ursachen und Wirkungen der Unterkühlung und wie man sich
davor schützen kann.
Wir hatten in unserem Tauchkurs einmal etwas von Wärmeleitung, Wärmeströmung, Wärmestrahlung
und Verdunstung gehört. Diese Vorgänge sind an der Thermoregulation unseres homöothermen
(gleichwarmen) Körpers beteiligt.
- Wärmeleitung (Konduktion): die Wärme wird durch Leitung z.B. über die Haut an die Luft abgegeben, solange die Luft kälter ist.
- Wärmeströmung (Konvektion): die Wärme wird an die umgebende Luft abgegeben, wobei ein Temperaturgefälle zwischen Haut und Luft vorhanden sein (Wind an der Haut oder vorbei strömendes Wasser beim Schwimmen begünstigen das).
- Wärmestrahlung: Wärmeaufnahme bzw. -abgabe, bei Temperaturdifferenz zwischen zwei Körpern, wobei kein Vehikel zur Wärmeübertragung notwendig ist (z.B. Haut und einige Meter entfernt ein Heizkörper, oder Haut und kalte Hauswand, dazwischen jedoch warme Wohnungsluft)
- Verdunstung: Wärme wird, wenn Konduktion und Konvektion bei hoher Außentemperatur nicht ausreichen, über Wasserverdunstung von den Schweißdrüsen abgegeben, ansonsten bei jeder Ausatmung.
Interessant ist, daß bei einer Umgebungstemperatur von z.B. 30°C im Wasser 75% mehr Wärme
abgegeben wird als an der Luft. Denn Wasser ist ein viel besserer Wärmeleiter.
Denken wir nun nicht mehr an die 30°C sondern an unseren kalten Winter, in dem wir ja lieber
tauchen gehen wollten. Nicht nur im Wasser ist es kalt, sondern auch dort, wo wir uns
aufhalten bzw. umziehen usw.. Leider gibt es hier zwischen dem Wärmebedarf (Summe von
Wärmeproduktion und -aufnahme) und der Wärmeabgabe kein Gleichgewicht - die Wärmeabgabe
überwiegt.
Der Trocki minimiert die Konvektion, denn er verhindert den direkten Kontakt der Haut zum
Wasser und die Luft im Anzug ist ein schlechterer Wärmeleiter. Auch die Wärmeströmung wird
durch das fehlende Temperaturgefälle unmittelbar an der Haut weitgehend verhindert.
Aber früher oder später kühlt jeder beim Tauchen in solchen Extremsituationen ab. Beim Trocki
eigentlich kein Grund dafür? O, doch!! Allein das Einatmen von kalter Luft verbraucht zum
einen unwahrscheinlich viel Energie, andererseits verlieren wir beim Ausatmen durch die
Verdunstung von (warmem) Wasserdampf sehr viel Wärme. Energieverlust bedeutet auch immer
Wärmeverlust. Beim Tauchen mit einem Kreislauftauchgerät kann zumindest der Wärmeverlust
über die Verdunstung unserer Ausatemluft gedrosselt werden, da die Zufuhr kalter Luft durch
das Prinzip des Gerätekreislaufs enorm reduziert wird. Denn hier wird die ausgeatmete warme
Luft regeneriert und wieder zugeführt.
Das Gesicht hat oft direkt mit dem kalten Wasser Kontakt, manchmal auch die Hände bei
Gebrauch von Neoprenhandschuhen. Dies bedingt durch ausgeprägte Konvektion und Konduktion
auch bei relativ kleiner Angriffsfläche einen erheblichen Wärmeverlust. Denn v.a. der
Gesichtsbereich ist gut durchblutet und kann gut Wärme nach außen leiten.
Anzeichen und Symptome
Einige Zeit können wir das Auskühlen mit einem gesteigerten Stoffwechsel, der sich im
Muskelzittern äußert, und damit vermehrter Wärmeproduktion verhindern. Denn unser Körper
will ja stets eine bestimmte Temperatur in seinem Inneren (sog. Kerntemperatur von 37°C)
aufrecht halten. Dafür zieht er nach und nach alle Register. Weiterhin wird die Wärmeabgabe
durch Zusammenziehen von kleinen hautnahen Blutgefäßen gedrosselt. Es kommt zur Gänsehaut.
Weiter als bis hierher sollten wir es bei unserer winterlichen Tauchaktivität nicht kommen
lassen. Denn noch können wir den Tauchgang sicher zu Ende bringen bzw. sollten ihn umgehend
abbrechen, bevor wir durch die Kälte zu unachtsam werden. Das Risiko eines Dekounfalls erhöht
sich, da bei geringen Temperaturen mehr Stickstoff im Gewebe gelöst werden kann (Gesetz von
Henry) und durch die Kontraktion von Blutgefäßen an der Haut die Stickstoffabgabe verzögert
wird. Zuvor eventuell aufgenommener Alkohol begünstigt zusätzlich die ohnehin schon vermehrte
Adrenalinausschüttung (nötig für die vermehrte Wärmebildung). Es kommt zu Unruhegefühl,
Konzentrationsstörungen und Verminderung manueller Fähigkeiten. Möglicherweise können
dadurch Tarierhilfen wie der Inflatorknopf an Jacket oder Trocki nicht mehr optimal bedient
werden.
Insgesamt sind wir in diesem Stadium der Unterkühlung noch bewußtseinsklar. Im weiteren
Verlauf, in dem die Körperkerntemperatur auf Werte unter 34°C absinkt, kommt es zu
Muskelstarre und -lähmung, Bewußtseinsverlust, Minderung von Herzfrequenz und Blutdruck und
schließlich zum Herz-Kreislauf-Stillstand.
Erste Hilfe und Tipps zur Vorbeugung
Haben wir uns beim Tauchen doch etwas überschätzt, sollten wir so schnell wie möglich ins
Warme und etwas Warmes zu uns nehmen. Es muß unbedingt trockene Kleidung angezogen werden.
Mütze aufsetzen, denn am Kopf kühlt man besonders schnell aus. Die Alu-Rettungs-Decke bietet
einen sehr guten Wärmeschutz. Wenn das Stadium des Muskelzitterns überschritten ist und
allmählich das Bewußtsein eintrübt, sollte eher der Arzt helfen mit langsamer Zufuhr warmer
Infusionen und einem intensiven EKG-Monitoring. Denn nun könnte es bei zu schnellem inneren
Erwärmen zu Herzrhythmusstörungen bis hin zum Herzstillstand kommen; nämlich dann, wenn das
periphere kältere Blut zu schnell ins Herz gelangt (sog. Wiedererwärmungsschock). Auch der
nun wieder erhöhte Sauerstoffverbrauch spielt eine Rolle.
Soweit soll es nicht kommen. Deshalb nun einige Tipps zur Vermeidung solcher Probleme:
- im Winter / bei Kälte immer im Trockentauchanzug (evtl. als Kompromiß im Halbtrockenen) tauchen zur Verminderung der Wärmeabgabe (Konvektion, Konduktion)
- vorm Tauchen warme alkoholfreie Getränke zu sich nehmen
- für einen Platz zum Aufwärmen und für warme Speisen/Getränke nach dem Tauchgang sorgen
- bei Kältegefühl und Muskelzittern bereits vorm Tauchen erst optimal aufwärmen, ansonsten Tauchvorhaben abbrechen
- bei Unwohlsein konsequent nicht tauchen, da durch allgemeine Schwächung Kältezittern eher auftreten kann
- Vorsicht bei Anwendung von Heizmaterial (Heizpäckchen) im Tauchanzug! Es kann zu lokalen Verbrennungen kommen.
Das Tauchen in der kalten Jahreszeit kann zu einem unvergeßlichen Erlebnis werden bei
Beachtung weniger Regeln und einem hohen Maß an Selbstdisziplin. Ich freue mich nach dem
Tauchen immer auf das fröhliche Zusammensitzen in einem warmen gemütlichen Restaurant.
Ulrike Silbermann,
Ärztin
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